La Palma Text-Bild-Band von Walter M. Weiss und Jürgen Richter

21. Dezember 2018

Text-Bild-Band Neuerscheinung Herbst 2018 • 140 Seiten, 203 Abbildungen • ISBN: 978-3-8003-4301-0 • Amazon
Format 24 x 30 cm, gebunden mit farbigem Schutzumschlag, Deutsch, 1 Übersichtskarte

LA PALMA

Von Jürgen Richter (Fotos) und Walter M. Weiss (Text), erschienen im Herbst 2018 im Verlag Stürtz

Die kontrastreiche Kombination beeindruckt jeden Besucher La Palmas: zum einen die bedrohliche Allgegenwart der vulkanischen Welt mit ihrer Lava und Asche, zum anderen aber die Farbenpracht und exotische Formenvielfalt der einzigartigen Vegetation. Faszinierend ist ebenso das Landschaftsbild – dominiert von der Caldera de Taburiente – mit seinen Barrancos (Schluchten) und Vulkangipfeln, aber auch sanft gewelltem Agrarland. Mild und ausgeglichen ist noch dazu das Klima, bestimmt durch Passatwind und Kanarenstrom.

Von der langen Geschichte der Insel erzählen die Bauten in den gemütlichen Städten: In Santa Cruz locken zum Beispiel von gepflegten Häusern im Kolonialstil gesäumte Gassen, das schöne Renaissance-Rathaus und gleich mehrere Kirchen und Museen. Alte Traditionen wie Juego del Palo, das Stockfechten, oder der Salto del Pastor, der „Hirtensprung“, werden hier noch gepflegt.

Rund 200 Bilder zeigen La Palma in all seinen Facetten. Vier Specials berichten über die reiche Natur, die eine endemische Pflanzenwelt hervorgebracht hat, über den vulkanischen Ursprung und die geologischen Besonderheiten des Eilands, über die Ureinwohner der Insel und über die Landwirtschaft von der Banane bis zum Zuckerrohr.


La Palma – Lande des ewigen Frühlings am schönen Ende der Welt

Die kontrastreiche Kombination fasziniert jeden Besucher La Palmas, ob bewusst oder unbewusst, gleich nach der Landung, auf der ersten Überlandfahrt vom Flughafen ins Ferienquartier: Da ist zum einen die bedrohliche Allgegenwart der vulkanischen Welt, ihre alles Leben auslöschende Asche und Lava.

Schwarz und schroff bedeckt der Auswurf des Erdinneren vielerorts den Boden. Zugleich aber wird man auf Schritt und Tritt Zeuge, mit welch unbändigem Willen selbst auf den unwirtlichsten Felshalden, aus kleinsten Ritzen zwischen verwitterten Gesteinstrümmern, Halme, Blätter, Blüten zum Licht, zur Sonne hin austreiben.

Der Kontrast zwischen dem Zartgrün der Kiefernwälder und dem dunklen Boden zum Beispiel, aus dem sie wachsen, überhaupt die Farbenpracht und exotische Formenvielfalt der Vegetation versetzt Neuankömmlinge sofort in Hochstimmung. Drachen- und Lorbeerbäume, Natternköpfe, Tamarisken, Aeonien, Agaven, Palmen, Feigenkakteen und methusalemische Ficus-Gummibäume, gefühlte hundert- bis tausendmal größer als im Wohnzimmer daheim... all diese knolligen, knorrigen, wulstigen, polstrigen, stachelig-nadeligen, urweltlich verknoteten Gewächse lassen einen Dauerstaunen. Dazu die vielen kraftvoll leuchtenden Farbklekse der Strelitzien, Zuckerbüsche, Aronstäbe und meterhoch wachsenden Weihnachtssterne, die meist feucht-frische Luft, das oft samtene Licht: ein Sinnenrausch.


Vielleicht war es diese wundersame Natur, dieses so unmittelbare und intensive Nebeneinander von Tod und Leben, das schon die Menschen des Altertums aus der Ferne, vom Hörensagen faszinierte und den Mythos von den Fortunatae Insulae, den „Glückseligen Inseln“, nährte.

Antike Dichter, von Homer und Hesiod bis Strabon und Plutarch haben diese sagenumwobenen Inseln als „Elysische Gefilde“ besungen und beschrieben. Platon fantasierte von einem jählings im Meer versunkenen „blühenden ozeanischen Reich Atlantis“. Und Herodot, Vater der griechischen Geschichtsschreibung, mutmaßte: „Die Welt hört hier auf, wo das Meer nicht mehr schiffbar ist, wo sich die Gärten der Hesperiden ausbreiten, wo Atlas mit seinem kegelförmigen Berg das Gewicht des Firmaments trägt“. Die Verklärung der Kanaren kann man stets auch speziell auf La Palma gemünzt verstehen. Ebenso wie auch folgenden Vers aus einem alten Volkslied seiner Bewohner: „Die Welt hat ein Europa, Europa hat ein Spanien, und Spanien hat einen Garten – die Kanarischen Inseln“. 

Vulkankegel wohin man blickt

Mit 708 Quadratkilometern, einer Nord-Süd-Ausdehnung von 45 und einer von West nach Ost von gut 27 Kilometern ist La Palma die fünftgrößte der Kanarischen Inseln.

Ihre Fläche nimmt knapp ein Zehntel der des gesamten Archipels ein. Ihre 81.300 Einwohner (Stand 2017) stellen freilich gerade einmal vier Prozent seiner Gesamtbevölkerung. Entsprechend gering ist mit 120 Personen pro Quadratkilometer die Bevölkerungsdichte.

Die Insel, deren Umrisse nicht nur romantische Zeitgenossen als herzförmig bezeichnen, liegt gut 400 Kilometer vor der marokkanischen Küste, 1.370 vor dem spanischen Festland und 86 westlich von Teneriffa. Sie ist vulkanischen Ursprungs – ein Wesenszug, den sie, wie auch den an endemischen Pflanzen reichen Typus von Vegetation, nicht bloß mit allen Nachbarinseln, sondern auch mit den etwa eineinhalb Flugstunden nordwestlich gelegenen Azoren, mit Madeira und den Kapverdischen Inseln vor der Küste Senegals gemeinsam hat. Weshalb Biogeografen all diese Archipele des östlichen Zentralatlantik zur Großregion namens Makaronesien zusammengefasst haben.

Das Landschaftsprofil von La Palma ist recht einfach skizziert: Im Zentrum klafft die Caldera de Taburiente, ein gigantischer Krater mit über zwei Kilometern Tiefe und 28 Umfang.

Er wird zum Norden und Osten hin halbkreisförmig von der durchwegs über 2.300 Meter hohen Cumbre de los Andenes eingefasst. Von diesem Felskranz, zu dem auch der mit 2.426 Metern höchste Gipfel der Insel, der Roque de los Muchachos, gehört, gehen strahlenförmig tief eingeschnittene Barrancos, Schluchten ab. Diese wurden einst durch reißende Gebirgsbäche gebildet oder stellen, beide Theorien gelten als nicht endgültig gesichert, im Zuge der Auffaltung der Insel eingerissene Geländenarben dar.

An ihren Ausgängen finden sich die wenigen, in der Regel schwarzsandigen Buchten. Das mit Abstand gewaltigste Exemplar ist der Barranco de Las Angustias, die „Schlucht der Todesängste“. Sie durchbricht die Caldera in Richtung Südwesten und fungiert als natürlicher Abfluss für die im Kesselgrund entspringenden Quellwässer. Wo sie das Meer erreicht, bei Tazacorte, ragt als äußerster Ausläufer des hufeisenförmigen Kraters die Steilwand von El Time empor. Die solcherart zergliederten Außenflanken der Caldera fallen in fast alle Himmelsrichtungen zu den Küsten hin schroff ab und enden zum Meer hin mit stellenweise über 100 Meter hohen Kliffs.

Nur im Mittelbereich der Westküste erstreckt sich mit dem Valle de Aridane bis weit in das Landesinnere ein sanftwelliges, agrarisch intensiv genutztes Hügelland.

Hier liegen mit Los Llanos der bevölkerungsreichste, und mit El Paso sowie Las Manchas zwei weitere größere, auch bei sonnenhungrigen Zweithausbesitzern aus Deutschland beliebte Orte der Insel. Weiter östlich setzt sich die Caldera Richtung Süden hin in dem schmalen Höhenrücken der Cumbre Nueva und schließlich in der Cumbre Vieja fort. Die beiden Gebirgskämme, beliebte Wanderreviere, sind mit über hundert Vulkanen durchsetzt, deren Kegel Höhen zwischen 1.500 und 2.000 Metern erreichen.

Gemeinsam teilen sie die untere Inselhälfte topografisch und klimatisch in einen westlichen und einen östlichen Teil. Im äußersten Süden schließlich offenbart die Insel besonders eindrucksvoll, dass ihre feurig-instabile Vergangenheit noch keineswegs geendet hat. Dort, im Gebiet von Fuencaliente, erheben sich zwei Vulkane, auf denen bislang Vegetation kaum Fuß gefasst hat. Lava, Asche und an manchen Stellen infolge der Schwefelausfällungen auch weißlich-gelbes Gestein liegen hier noch in unverhohlener Nacktheit zutage. Der Größere, Volcán de San Antonio, ist 660 Meter hoch, kaum mehr als 3000 Jahre alt und brach das bislang letzte Mal im Jahre 1677 aus. Sein direkter Nachbar, Volcán Teneguía (427 m), nahm überhaupt erst 1971 im Zuge eines heftigen, drei Wochen dauernden Ausbruchs Gestalt an.

Passatwind und Kanarenstrom

La Palma liegt auf knapp 18° westlicher Länge und knapp 29° nördlicher Breite, also etwa auf gleicher Höhe wie Kuwait, Delhi oder Houston.

Doch im krassen Kontrast zu jenen schwül- oder wüstenheißen Metropolen weist die Insel ein ganzjährig mildes Klima auf. In der Hauptstadt Santa Cruz zum Beispiel beträgt die durchschnittliche Jahrestemperatur 20°. Die niedrigsten Monatswerte werden mit 17,6° im Jänner und Februar verzeichnet, die höchsten mit nur 23,5° im August und September. Wobei das Quecksilber im Thermometer allerdings, abhängig von der Höhenlage, erheblich steigt und fällt.

Gemäß der Faustregel, dass die Luft pro hundert Höhenmeter um ein Grad abkühlt, kann es winters, wenn am Badestrand an der sonnigen Westküste wohlige 20° herrschen, in den Gipfelregionen für kurze Zeit schneien und frieren. Doch keine Bange: Bleierne, graue Novembertage oder gar einen nasskalten, eisigen Winter wie in Kontinentaleuropa kennt man hier nicht. Und selbst die Sommer sind im Gegensatz zu den trockenheißen mediterranen Regionen in der Regel sehr erträglich, ja erholsam frisch.

Zwei Faktoren sind für die Milde und Ausgeglichenheit des Klimas verantwortlich.

Zum einen der Passat: Ihm ist La Palma aufgrund seines extrem steilen Reliefs und der exponierten Lage im Atlantik stärker als die kanarischen Schwesterinseln ausgesetzt. Seine Wolken treffen im Nordosten auf die Berge und bescheren der Insel die höchste Niederschlagsmenge des Archipel - in der Gegend von Barlovento beispielsweise 900 Liter pro Quadratmeter im Jahr (mehr als dreimal so viel wie diagonal gegenüber, in Tazacorte im Südwesten). Dem beständigen Wind aus Nordost verdankt La Palma in weiterer Folge auch den Status der vegetationsreichsten Kanarischen Insel. Rekordverdächtige 40 Prozent seiner Fläche sind von Wald bedeckt.

Sinnbild für die stete Wucht des Passat sind die Cascadas de nubes, die „Wolkenwasserfälle“, die entstehen, wenn seine Wolkenbänke sich in breiter Front über die Kämme der Cumbre Nueva wälzen und sich unmittelbar dahinter, an der Westseite hinabstürzend, auflösen. Und wenn sie, wie im Sommerhalbjahr, nicht abregnen, so bringen sie doch in Form von Nebel oder Tau Leben spendende Feuchtigkeit.

Die zweite bestimmende Größe ist der Kanarenstrom, jene kühle Meeresströmung, die auf Höhe der Azoren gleichsam vom Golfstrom abzweigend, gespeist von aufsteigendem Tiefenwasser, als Teil des großen atlantischen Stromrings in südwestlicher Richtung fließt.

Er dämpft sommers wie winters die Temperaturextreme in beide Richtungen. All diese Einflüsse bewirken in Kombination mit der extremen Vertikalgliederung freilich, dass sich auf La Palma die Witterungsverhältnisse selbst auf engstem Raum fortlaufend ändern.

Während sich ein Ort in Sonne badet, geht anderswo ein Regenguss nieder, kann es wiederum anderswo nebelig sein im Tiefwinter in Höhenlagen sogar schneien. Sehr selten, aber doch kann allerdings extreme Hitze einbrechen: Dann, wenn der als Calima bezeichnete Ostwind sehr trockene, heiße Luft aus der Sahara herbeiweht. In diesem Fall kann das Thermometer für einige wenige Tage bis auf 45° klettern und der mittransportierte Sandstaub die Luft gelblich färben und sogar Atem und Sicht beeinträchtigen.


Schwierige Wirtschaftslage, schrumpfende Bevölkerung

Als ungleich übersichtlicher als die klimatische erweist sich die ethnische Karte der Insel: Der überwiegende Teil der Bevölkerung hat hispanischen Hintergrund, also familiäre Wurzeln auf der Iberischen Halbinsel.

Viele haben Vorfahren in Mittel- oder Südamerika. In nicht wenigen fließt zudem berberisches Blut oder das der Ureinwohner aus vorspanischer Zeit. Seit in den 1980er-Jahren Europäer La Palmas Schönheit und die niedrigen Grund- und Immobilienpreise für sich entdeckten, haben hier viele, vorrangig Ruheständler und unter diesen mehrere tausend Deutsche, ihren Dauer- oder Zweitwohnsitz. Insgesamt beträgt der Anteil an Ausländern, zu denen auch eine Gruppe von auf den Bananenplantagen arbeitenden Immigranten aus Osteuropa und Afrika zählen, etwa zehn Prozent.

Eine Konstante in der langfristigen Bevölkerungsentwicklung bildeten stets Emigration und Landflucht.

Zwar war La Palma Mitte des 19. Jahrhunderts, noch vor Teneriffa und Gran Canaria, die am dichtesten besiedelte aller kanarischen Inseln, und hat sich seine Einwohnerzahl im Verlauf des 20. Jahrhunderts von anfänglich etwa 42.000 verdoppelt. Doch erlebte sie in der Vergangenheit immer wieder auch große Auswanderungswellen. Bevorzugte Zielländer waren, etwa nach dem Zweiten Weltkrieg, als die Wirtschaft völlig darnieder lag, die USA, Kanada und Venezuela. Im 19. Jahrhundert schon emigrierten Tausende nach Kuba. Auf dem amerikanischen Doppelkontinent leben heute angeblich mehr Palmeros als auf ihrer Heimatinsel.

Und das Thema der schrumpfenden Bevölkerung hat in jüngsten Jahren neue Aktualität bekommen: Während die staatliche Statistik 2011 noch rund 87.000 Einwohner verzeichnete, waren es 2016 gerade noch 81.500. Etwa um ein Prozent pro Jahr schrumpft auch die Einwohnerschaft der Hauptstadt Santa Cruz – im selben Zeitraum von knapp 17.000 auf 15.700.

Woran das liegt? Fehlende Arbeitsplätze, sprich: Einkommen, und daraus folgend Perspektivlosigkeit. Keine Industrie, wenig Handwerk, kaum Handel, selbst der seit einigen Jahren merklich wachsende Tourismus (auf der bescheidenen Basis freilich von weniger als einer Viertelmillion Gäste im Jahr) bringt nur sehr begrenzt neue Jobs. Mit plusminus 26 Prozent liegt die Arbeitslosenrate europaweit im traurigen Spitzenfeld.

Einzig die Landwirtschaft bietet Beschäftigung, jedoch hauptsächlich im Billiglohnbereich.

Entsprechend beschränkt sich auch der Export auf ein paar Agrarprodukte, neben Bananen vor allem Zitrusfrüchte, Gemüse, Avocados, Wein und in begrenztem Umfang neuerdings subtropische Schnittblumen. Dreiviertel der Lebensmittel jedoch müssen importiert werden, detto sämtliche petrochemische und Konsumgüter, mechanische und elektrische Geräte, Kraftfahrzeuge. Nicht einmal bei Meerestieren vermag man sich selbst zu versorgen. Die eigene Fangflotte ist veraltet, die Überfischung der inseleigenen Gewässer durch internationale Konkurrenten eklatant. Kein Wunder, dass La Palma unter dem Strich eine stark negative Handelsbilanz aufweist.

Um ein Bonmot von Karl Kraus, einem Satiriker aus dem Wien um 1900, zu strapazieren: Die Lage scheint hoffnungslos, aber nicht ernst. Denn als Teil der Provinz Santa Cruz de Tenerife - zu der außerdem Teneriffa, La Gomera und El Hierro gehören, und die ihrerseits zusammen mit der Provinz Las Palmas, den übrigen Inseln, innerhalb Spaniens eine eigene „Kanarische Autonome Region“ bilden – profitieren die Palmeros von den Quersubventionen durch das spanische Mutterland und die Europäische Union. Ein wirtschaftlicher Kollaps wäre nie und nimmer eine Option.

Insbesondere bei Bananen, deren Produktion allein mehr als 10 000 Bauern ein Auskommen sichert und rund ein Drittel zum gesamten Budgethaushalt beiträgt, greift Brüssel mit Förderungen und auch Vermarktungshilfe kräftig unter die Arme.

Was mittelfristig hoffentlich die Chancen erhöht, dass europäische Konsumenten vermehrt, anstatt zu den mit viel Chemie und hohen Transportkosten produzierten Standardfrüchten aus karibischer Billiglohn-Herkunft, zu den zwar kleinen, krummen und bisweilen fleckigen, dafür aber nachhaltig von kleinen Bauernbetrieben produzierten und vor allem herrlich geschmackvollen, süßen palmerischen Bananen greifen.

Spielball spanischer Interessen

Prekär ist die Lage für das Gros der Inselbewohner immer schon gewesen.

Mögen fremde Herren ihre zwar bodenschatzlose, aber äußerst fruchtbare Heimat ruchlos an sich gerissen und gewieft ausgebeutet haben. Mögen sie mit dem Export von hier hergestelltem Zucker und Wein, mit Tabak, Seide und schließlich Bananen reich geworden sein. Das einfache Volk auf dem Land konnte daraus kaum Nutzen ziehen. Seit immer schon und bis weit ins 14. Jahrhundert hinein hatte es ohnedies auf dem Niveau steinzeitlicher Kultur sein karges Dasein gefristet (vgl. S. xx). Nachdem dann um 1312 der Genueser Lancelot Maloisel, genannt Lanzarotto Malocello, dessen Namen die nordöstlichste Kanareninsel bis heute trägt, als erster Europäer in hiesigen Gewässern aufgekreuzt war, kamen in der Folge immer mehr Portugiesen und Spanier. Ihr Ziel: die aus ihrer Sicht heidnischen und damit herrenlosen Einheimischen als Sklaven zu fangen.

1344 vermachte der Papst, es war Clemens VI., als „Oberhaupt aller noch zu entdeckenden Länder“, den gesamten kanarischen Archipel einem Spross des kastilischen Königshauses. Doch erst 1492, dem Jahr, als Kolumbus Amerika „entdeckte“, setzte mit General Alonso Fernández de Lugo der erste Spanier seinen Fuß auf palmerischen Boden und nahm die bis dahin als unbezwingbar geltende Insel im Namen der Krone ein. Vorhergegangen war dieser Inbesitznahme ein unsägliches Geschacher diverser Adeliger im Auftrag diverser Monarchen um die Territorien sowie ein heftiger Krieg zwischen der kastilischen Krone und Portugal. An dessen Ende bekam Letzteres kraft eines Friedensvertrages die Azoren, Madeira und die Kapverden, Erstere im Gegenzug aber die kanarischen Inseln zugesprochen.

Viele der Benahoaritas, La Palmas Urbewohner, waren gleich im Zuge der monatelangen Kämpfe während der Eroberung getötet, viele hernach in die Sklaverei verschleppt worden.

Der kleine Rest von Überlebenden, geschätzte 300 Familien, ließ sich nach und nach taufen und ging, dieser 1514 rechtlich gleichgestellt, in der bald schon spanischen Mehrheitsbevölkerung auf. Jeglicher Bodenbesitz und auch die Wasserrechte lagen fortan in Händen von Generalgouverneuren. Diese waren direkt dem spanischen Hof unterstellt und holten, um das boomende Business mit Zuckerrohr, ja überhaupt die Entwicklung der Infrastruktur und Wirtschaft zu pushen, aus ganz Europa Händler, Handwerker und vor allem Bauern auf die Insel. Führend im Geschäft waren damals Finanziers aus Flandern und Deutschland mit dabei. Parallel mutierte La Palma zur zentralen Zwischenstation für den Handel zwischen dem spanischen Mutterland und dessen neuen überseeischen Besitzungen.

Die Hauptstadt Santa Cruz erhielt von König Philipp II. neben dem ehrenden Beinamen „Hochedle und treue Villa de la Cruz“ das Privileg, mit den Kolonien in den Americas auf eigene Rechnung Seehandel treiben zu dürfen.

Der rasch aufblühende Reichtum, vor allem auch die reihenweise im Hafen von Santa Cruz ankernden Segelschiffe, schwer beladen mit Gold und Silber aus der Neuen Welt, weckten die Begehrlichkeit von Piraten. Einem französischen Korsaren gelang Mitte des 16. Jahrhunderts die kurzzeitige Eroberung und Brandschatzung der Hauptstadt. Worauf man diese mit massiven, zum Teil bis heute sichtbaren Kastellen, Wehrmauern, Geschützstellungen ausbaute und so für alle Zukunft vor weiteren Raubzügen schützte. Selbst ein Angriff des legendären englischen Freibeuters Sir Francis Drake wurde in der Folge glücklich abgewehrt.

Sorgsam und freudvoll gepflegte Traditionen

Das Volk blieb von all dem kommerziellen Auf und Ab kaum berührt und weitgehend arm.

So wohnten auf dem Land noch im 19. Jahrhundert viele Familien in strohgedeckten Holzkaschemmen und selbst Begütertere nur in schlichten Häusern aus Bruchstein. Immerhin konnten die Palmeros auf ihrer abgelegenen Insel, abgesehen von den Piratenangriffen, im Windschatten der Weltgeschichte ein weitgehend friedsames Leben führen. Und zumindest war es ihnen schon 1773 gelungen, angeführt von Dionisio O’Daly, einem Kaufmann irischer Abstammung, nach dem die Hauptgeschäftsstraße von Santa Cruz benannt ist, die unerträglich absolutistisch regierenden Ratsherren zu entmachten, in der Folge auf lokaler Ebene die ersten freien Wahlen in der spanischen Geschichte abzuhalten und somit einen demokratisch gewählten Gemeinderat zu installieren.

Ein spätes Ergebnis dieser frühen Emanzipation sollten die 1912 auf allen Kanaren eingeführten „cabildos insulares“, Inselregierungen, sein, kraft derer sich auch die Palmeros seither, was ihre lokalen Belange betrifft, selbstverwalten können. Die selbst hier an der äußersten Peripherie fatalen Auswirkungen der faschistischen Machtübernahme und der bleiernen Jahrzehnte unter Franco stehen auf einem anderen Blatt.

Dass niemals ein Sturm radikaler Modernisierung über das Inselchen fegte, keine Industrialisierung stattfand und weder ein zu krassen Fehlinvestitionen verführendes finanzielles Füllhorn über ihm ausgeschüttet noch, wie anderswo, hypertrophe Prestigeprojekte forciert wurden, brachte jedenfalls mit sich, das der Alltag noch einigermaßen im Andante des Südens vonstatten geht. Viele alte Sitten und Denkungsarten sind entsprechend bis heute lebendig. So wird die historische Bausubstanz, von der Hauptstadt bis zum entlegendsten Dorf, im Wissen um ihren Wert, wo immer möglich, sorgsam instand gehalten. Was, klar, auch das Auge der Urlauber freut. Wie überhaupt das ausgeprägte Traditionsbewusstsein der Einheimischen auch den Aufenthalt ihrer Gäste in vielerlei Hinsicht versüßt.

Was wären die zahlreichen Fiestas ohne die originäre Freude am Tanzen in prächtigen Trachten, und am durch Klänge aus alten, ortstypischen Musikinstrumenten begleiteten Singen?

Was ein Shoppingbummel ohne das, von der Keramikherstellung und Korbflechterei bis zur händisch gerollten Zigarre oder bestickten Seidenbluse, mit Hingabe kultivierten (Kunst)Handwerk? Dankbar muss man den Palmeros auch sein, dass sie ihre alten Freizeitvergnügen wie Juego del Palo, das Stockfechten, Lucha canaria, ihre Version des Ringkampfes, und sogar  den fast schon vergessenen Salto del Pastor, den „Hirtensprung“ mittels langen Holzstäben, als Zuschauersport weiterpraktizieren (den Rina de Gallo, den Hahnenkampf, lassen wir mit Blick auf das Tierwohl hier besser beiseite).

Und auch für die geflissentliche Pflege überlieferter Kochrezepte, den Rindfleisch-Erbsen-Tomaten-Eintopf Ropa vieja zum Beispiel, den überbackenen Ziegenkäse oder die Papas arrugadas, in Meersalz gekochte kleine Kartoffel, serviert stets mit der unverzichtbaren Mojosauce, fabriziert aus Öl, Essig, Gewürzen, Kräutern und viel Knoblauch; und nicht zu vergessen das seit Urzeiten und noch heute gerne zubereitete Grundnahrungsmittel Gofio, einen nahrhaften Brei aus, in seiner Basisversion, geröstetem, mit Wasser und Meersalz versetzten Mais oder Getreide.

All diese kulturellen Hervorbringungen verblassen freilich angesichts des größten Schatzes, dessen sich La Palmas Bewohner und Besucher gleichermaßen erfreuen können: der weitgehend unversehrten Natur.

Genau genommen verdankt ja selbst sie sich, man blicke nur auf die von vielen Generationen mit unendlicher Mühe terrassierten Steilhänge oder die kunstvollen Bewässerungskanäle, bis zu einem gewissen Grad verantwortungsbewusstem menschlichen Handeln – einer Weitsicht, die erkannt hat, dass sie nicht zuletzt auch den größten Trumpf für eine längerfristig nachhaltige touristische Entwicklung darstellt. Womit wir wieder bei der Begeisterung gelandet wären, die, siehe oben, jeden Neuankömmling sofort nach der Ankunft unweigerlich erfasst.

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